Zinzendorfschule
Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS)
Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS)Henning Kullak-Ublick Vorstand Bund der Freien Waldorfschulen

Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS)

Ein Beitrag von Henning Kullak-Ublick

Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS)
Bund der Freien Waldorfschulen (BdFWS)Henning Kullak-Ublick Vorstand Bund der Freien Waldorfschulen

Das im Großen Internate­Führer vorgestellte Internat Schloss Hamborn ist Mitglied im Bund der Freien Waldorfschulen mit Sitz in Stuttgart.

Derzeit gibt es 219 Waldorf­ und Rudolf-Steiner­Schulen in Deutschland. Der Bund der Freien Waldorfschulen (Bd-FWS) nimmt ihre gemeinsamen Interessen wahr und fördert die Autonomie der einzelnen Schulen. Der BdFWS tritt für ein freies, selbstverwaltetes Schulwesen und die gleichberechtigte Finanzierung von Schulen in öffentlicher oder freier Trägerschaft ein. Er fördert die pädagogische Forschung und koordiniert die Arbeit der derzeit zehn Hochschulen und Seminare, die grundständige oder Postgraduierten-Studiengänge für künftige Waldorflehrer/innen anbieten.

Der BdFWS veranstaltet zahlreiche öffentliche und interne Fortbildungstagungen zur Waldorfpädagogik und arbeitet national und international mit anderen Schulverbänden zusammen. Er vertritt die Waldorfschulen politisch. Waldorfschulen bemühen sich seit ihrer Begründung durch Emil Molt und Rudolf Steiner im Jahr 1919 darum, das „Lernen mit Herz, Hand und Hirn“ nicht nur als abstrakte Forderung zu postulieren, sondern konsequent in der Schulpraxis umzusetzen. Ihr pädagogisches Ideal einer von jeder Lehrerin und jedem Lehrer individuell ergriffenen „Erziehungskunst“ findet seine Bezugspunkte sowohl in der modernen Lernforschung als auch in Rudolf Steiners „Philosophie über den Menschen“, der Anthroposophie. Leitprinzip ist die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler durch eine altersspezifische Didaktik und Unterrichtspraxis, die immer die Eigenaktivität herausfordert.

Die neuere Hirnforschung bestätigt den Zusammenhang zwischen der Entwick- lung kognitiver und emotionaler Kom- petenzen und der Sinnesentwicklung. Die Einbeziehung vielfältiger praktischer Tätigkeiten (Stricken, Plastizieren, Schmieden, Tischlern, Weben, Malen, Buchbinden) fördert daher die indivi- duelle Lernfähigkeit der Schülerinnen und Schüler. Durch gemeinsames Singen und Musizieren sowie durch Eurythmie, Sprachbildung und Schau- spiel gehört regelmäßiges Üben zum Schulalltag und bildet die Grundlage für ein lebenslanges Lernen und die Entwick- lung sozialer Kompetenzen. Alle Hauptfächer werden in so genannten „Epochen“ abwechselnd über mehrere Wochen konzentriert unterrichtet. Dadurch ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit den behan- delten Themen möglich. Vom ersten bis zum achten Schuljahr werden diese Epochen in der Regel von einem/r Klassenlehrer/in erteilt, der/die dadurch für die Kinder zu einer festen Bezugs- person wird. Vom neunten Schuljahr an werden die Epochen von wechselnden Fachakademikern unterrichtet.

An Waldorfschulen können alle staatlichen Schulabschlüsse erworben werden. An Stelle der Notenzeugnisse stehen bis in die Sekundarstufe II Entwicklungs- berichte, in denen die individuellen Fortschritte und Leistungen der Schüler- innen und Schüler dokumentiert werden. Formale Versetzungsentschei- dungen und „Sitzenbleiben“ lehnen die Waldorfschulen ab. Heterogen zusammengesetzte Klassenverbände fordern ein höheres Maß an „Binnendif- ferenzierung“ durch die Lehrer, fördern aber das Lernklima für alle Begabungs- stufen und bieten außerdem wertvolle soziale Erfahrungsfelder für die Schüler- innen und Schüler. Der Umgang mit modernen Kommunikationstechniken ist Teil des Technologieunterrichts. Vorausgegangen sein sollte aber die Entwicklung genuiner Sprach- und Sozialkompetenzen, was nur durch eine gesunde Sinnesentwicklung und ein handlungsorientiertes und erfahrungs- gesättigtes Lernen möglich ist. Aus diesem Grund setzt der Informatik- unterricht frühestens nach der Voll- endung des zwölften Lebensjahres ein.

Die erste Waldorfschule wurde von Emil Molt, dem Inhaber der Waldorf­Astoria­Zigarettenfabrik, gegründet. Er bat Rudolf Steiner um die Leitung einer Schule für die Kinder der Fabrikarbeiter, die wegen ihrer pädagogischen Erfolge bald zahlreiche Nachfolger fand. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Waldorfschulen verboten. Fast alle Neugründungen nach 1945 entwickelten sich aus örtlichen Elterninitiativen. Sie werden vom jeweiligen Lehrerkollegium in Selbstverwaltung zusammen mit den Eltern geführt.

Weltweit gibt es heute über 1.000 Waldorfschulen in 80 Ländern und auf allen Kontinenten. Ihre Pädagogik wird neuerdings zunehmend als Konzept einer internationalen „Krisenpädagogik“ entdeckt, die von Naturkatastrophen oder Bürgerkriegen traumatisierten Kindern helfen kann, wieder neuen Lebensmut zu fassen. Auf ihrer Grundlage werden – oft unter einfachsten Bedingungen – Schulen in den Ghettos der USA, südamerikanischen Favelas und in den Townships Südafrikas betrieben.
Das Erkennen ökologischer Zusammenhänge und einer nachhaltigen Wirtschaft wird an Waldorfschulen zunächst durch praktisches Handeln und die Erfahrung der Welt mit „Herz und allen Sinnen“, später durch bewusste Reflektion geübt. Die im Internateführer beschriebene Schule Schloss Hamborn verfügt beispielsweise über ein eigenes Energiekonzept mit zwei Biomasse­Heizwerken, durch die der CO2­Ausstoß für die Liegenschaft erheblich reduziert werden konnte.

Henning Kullak-Ublick
Vorstand Bund der Freien Waldorfschulen


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